Bei ihrem Antrittsbesuch bei der Marine Ende September legte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer das Augenmerk auf die Ausrüstung der Bundeswehr. „Wir sind zu sehr auf Verschleiß gefahren“, sagte sie in Warnemünde. Im gleichen Atemzug kündigte sie an, sich dafür einzusetzen, dass Material schneller auf den Schiffen ankomme und sich die Bundeswehr insgesamt besser aufstelle.
In der Tat kämpft die Deutsche Marine mit einem enormen Investitionsstau. Dies wurde auch beim 21. Marineworkshop der DWT deutlich. Seit Ende des Kalten Krieges ist die Flotte dramatisch geschrumpft und gealtert.
Zusammenarbeit von German Naval Yards Kiel und ZEPPELIN MOBILE SYSTEME
Dass neues Material auf den Schiffen ankommt, daran arbeitet derzeit German Naval Yards Kiel (GNYK) in Zusammenarbeit mit ZEPPELIN MOBILE SYSTEME (ZMS). Zusammen haben beide Unternehmen am 25. September 2019 auf der Kieler Werft den Bau des integrierten Marineeinsatz-Rettungszentrums (iMERZ) begonnen, das später auf dem Einsatzgruppenversorger „Frankfurt am Main“ fest installiert werden soll. Dies wird eine bedeutende Fähigkeitslücke schließen. Denn die Marine verfügt derzeit nur über ein ähnliches Rettungszentrum auf dem Einsatzgruppenversorger „Berlin“, dem Schwesterschiff der „Frankfurt am Main“. Das Marineeinsatz-Rettungszentrum, das zuvor auf der „Frankfurt am Main“ installiert war, wurde 2015 durch einen Brand bei Wartungsarbeiten zerstört. Diese verloren gegangenen Fähigkeiten werden bis zum Frühjahr 2020 durch GNYK und ZMS wiederhergestellt und entsprechend der neuesten Technik optimiert. „Ich werbe für eine ehrliche und vertrauensvolle Partnerschaft zwischen Industrie und Auftraggeber, um die immer komplexer werdenden Bauvorhaben im Marineschiffbau erfolgreich realisieren zu können. Dazu braucht es engste Zusammenarbeit, Transparenz in der Beauftragung und auch Transparenz im anschließenden Herstellungsprozess. Nur wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen, können die neuen Herausforderungen gemeistert werden“, erklärte der Geschäftsführer German Naval Yards Kiel, Jörg Herwig, im Gespräch mit dem Hardthöhenkurier. „iMERZ ist dafür ein schönes Beispiel. Hier profitieren wir vom engen Austausch mit dem Auftraggeber und den nachgeordneten Dienststellen. Gleichzeitig arbeiten wir aber auch eng mit unserem Partner ZEPPELIN MOBILE SYSTEME zusammen, um gemeinsam einen wichtigen Beitrag für die Optimierung der Fähigkeiten der Deutschen Marine zu leisten.“ Die Einsatzgruppenversorger spielen eine wichtige Rolle für die Versorgung von nationalen und internationalen Verbänden im Rahmen von Einsätzen und Übungen. Neben ihrer vorrangigen Aufgabe, der Versorgung anderer Einheiten mit Kraftstoffen, Lebensmitteln, Verbrauchsgütern und Munition, können die Schiffe auch die Rolle der sanitätsdienstlichen Versorgung übernehmen. Zudem ist die Sanitätsversorgung eine wichtige Fähigkeit, die von den deutschen Bündnispartnern häufig nachgefragt und geschätzt wird. Das iMERZ bietet das komplette Leistungsspektrum eines Krankenhauses einer mittelgroßen deutschen Kreisstadt – und das auf hoher See. Dazu gehören unter anderem zwei Operationssäle, mehrere Untersuchungs- und Laborräume, ein Röntgenbereich, eine Abteilung für die zahnmedizinische Versorgung sowie eine Apotheke. Zusammen mit der an Bord festinstallierten Pflege- und Bettenstation wird eine Primärversorgungs- und postoperative Betreuungskapazität für maximal 45 Patienten sichergestellt. Das macht das iMERZ zu einer wichtigen Komponente nicht nur in größeren Auslandseinsätzen, sondern auch für humanitäre Missionen.
Vorteile gegenüber der bisherigen Lösung
Das neue, integrierte System hat zahlreiche Vorteile gegenüber der vorherigen, knapp 20 Jahre genutzten Container-Lösung. Diese mussten in regelmäßigen Abständen von Bord geholt werden, um an Land instandgesetzt
zu werden. Durch den zukünftig fest verbauten Schiffsaufbau umgeht man eine verhältnismäßig „wackelige“ Lösung. Das Rettungszentrum ist damit auch bedeutend einfacher zu warten. Zudem können die Anforderungen an Hygiene- und Raumreinhaltung besser gewährleistet werden. Gleichzeitig wird durch den Ersatzbau die medizinische Ausrüstung an aktuelle Standards angepasst sowie auf den neuesten Stand der Technik gebracht.
Dabei gibt es vor allem aus Konstrukteurs-Perspektive zahlreiche Herausforderungen, die weit über den klassischen Schiffbau hinausgehen. So gilt es, auch auf See die höchsten Reinhaltungsstandards für eine sichere medizinische Versorgung zu gewährleisten. Die Konstruktion von OP-Sälen und Reinräumen muss so erfolgen, dass keinerlei ungefilterte Luft hineingelangen kann. Aber auch die Räume der Röntgendiagnostik müssen beispielsweise so ausgelegt sein, dass sie einen entsprechenden Strahlenschutz vorweisen. Die Architektur des neuen iMERZ muss für zahlreiche medizinische Fälle und Abläufe ausgelegt sein. Das fordert Kreativität und
Fachkenntnisse bei der Planung und Konstruktion. Es zeigt aber auch einmal mehr, dass Marineschiffe hochkomplexe und hochtechnische Einheiten sind, bei denen eine Vielzahl nationaler Schlüsseltechnologien zum Einsatz kommt.
Enger Austausch von Bundeswehr und Industrie
Dass man bei GNYK und ZMS diese Herausforderung beherrscht, haben beide Unternehmen bereits unter Beweis stellen können. 2016 gewannen sie gemeinsam den Auftrag für die Machbarkeitsstudie. Daraus ist eine vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit gewachsen, die auch einen engen Austausch mit dem BAAINBw einschließt. Die Bedeutung eines engen Austauschs zwischen der Industrie und der Bundeswehr wurde erst kürzlich auch von Marco Thiele, Vorsitzender Marine des Deutschen BundeswehrVerbandes, hervorgehoben: „Die Schiffe und Boote unserer Marine werden an der Küste gebaut und instandgehalten.“ Deswegen sei es zwingend notwendig, dass die Projektteams und Projektoffiziere dort stationiert und direkt ansprechbar seien, sagte Thiele. Das iMERZ ist ein weiteres Beispiel dafür, wie eng der Schiffbau in Norddeutschland mit der maritimen Zulieferindustrie zusammenarbeitet, um technische Innovationen für die Bundeswehr zu entwickeln und umzusetzen. Diese Nähe und Kooperationsfähigkeit ist die Stärke des deutschen Marine-Überwasserschiffbaus und führt zu neuen, innovativen Ideen. Die Schiffbau-Zulieferindustrie ist mit namhaften Unternehmen insbesondere in Baden-Württemberg und Bayern sehr stark vertreten. Mit 21 Prozent des Gesamtumsatzes in Höhe von ca. 5,8 Milliarden Euro der deutschen maritimen Zuliefererindustrie nimmt Baden-Württemberg neben Bayern die führende Position in Deutschland ein. Der Schiffbau an der Küste schafft und sichert damit auch Tausende Arbeitsplätze im Süden Deutschlands. Er ist überdies ein Treiber für Forschung, Entwicklung und Innovation und trägt somit substanziell zur Wertschöpfung besonders in Baden-Württemberg bei.
Erstklassige medizinische Versorgung
Dabei haben aber auch die Schiffbauer von GNYK viel von den medizinischen Fachkenntnissen des Partners vom Bodensee lernen können. ZMS ist ein international anerkannter Spezialist für mobile Hospital-, Notfall- und Präventionssysteme. Das Unternehmen vom Bodensee ist darauf spezialisiert, selbst in den entlegensten Regionen und im höchst anspruchsvollen Umfeld die Voraussetzungen für eine erstklassige medizinische Versorgung zu schaffen. In enger Kooperation hat man so ein Deckshaus entwickelt, das sich sowohl in den Einsatzgruppenversorger ideal integriert als auch ein Höchstmaß an Funktionalität für die medizinische Versorgung bietet. Hierbei wird das komplette Deckshaus vorab in den Schiffbauhallen bei GNYK gebaut und voll ausgerüstet. Im Nachgang wird der 120 Tonnen schwere Aufbau mit dem Portalkran auf den Einsatzgruppenversorger gehoben und dort verbaut. Die extra für solch große Sektionen und Schiffe ausgelegte Infrastruktur bei GNYK kann somit die notwendige Liegezeit des Einsatzgruppenversorgers im Trockendock wesentlich verkürzen. Dadurch muss die Deutsche Marine nur eine vergleichsweise kurze Zeit auf einen ihrer drei großen Versorger verzichten. Durch ihre gute Infrastruktur ist die Werft in der Lage, mehrere große Schiffe gleichzeitig zu bauen und zu reparieren. Gerade auch für Einsätze oder Übungen der NATO ist eine funktionierende Werftinfrastruktur an der Ostsee von sicherheitspolitischer Bedeutung. Auf der Kieler Werft ist die „Frankfurt am Main“ indes keine Unbekannte. Viele der nun involvierten Werftarbeiter haben bereits im Sommer 2017 einen Heckschaden an dem Schiff repariert.
Weitere Projekte
Die Installation des iMERZ wird nicht das letzte Projekt der Marine bei GNYK gewesen sein. Bereits Im Sommer 2020 beginnen die Arbeiten für die neuen Korvetten der K 130-Klasse in den Kieler Werfthallen. Diese werden in der Arbeitsgemeinschaft mit der Bremer Lürssen Werft und thyssenkrupp Marine Systems gebaut. Aber auch darüber hinaus stehen wichtige Meilensteine für die Marine an. So kommt Kramp-Karrenbauers Initiative für eine schnellere Beschaffung zur rechten Zeit: Die Ausschreibung der neuen Tanker für die Marine steht im kommenden Jahr an. Zum Jahreswechsel wird zudem die Entscheidung bei dem wohl wichtigsten Projekt der Marine, dem neuen Mehrzweckkampfschiff (MKS) 180, erwartet. Hier ist GNYK der letzte verbliebene deutsche Generalunternehmer im europäischen Wettbewerb.